Frühling

Lenz! Dich hätten wir beinah vergessen! Frisch und kühn sprießt inmitten dem Randal indessen junges Grün.

Blätter stecken ihre zarten Spitzen hastend aus. Wie sie schmuck auf ihren Ästen sitzen! Feucht und kraus!

Und sie sehen: Bunte Tumultanten! Militär! Sehen wildgewordene Adjutanten - Welch ein Heer!

Und sie sehen: Grad die falschen Leute packts Gericht. Doch die großen Diebe … Heute? Heute nicht.

Und die jungen Blätter blitzen und sie denken sich: Was mag das sein? Könnten sie, sie zögen ihre Spitzen schleunigst wieder ein!

Das Lächeln der Mona Lisa

Ich kann den Blick nicht von dir wenden. Denn über deinem Mann vom Dienst hängst du mit sanft verschränkten Händen und grienst.

Du bist berühmt wie jener Turm von Pisa, dein Lächeln gilt für Ironie. Ja … warum lacht die Mona Lisa? Lacht sie über uns, wegen uns, trotz uns, mit uns, gegen uns – oder wie –?

Du lehrst uns still, was zu geschehn hat. Weil uns dein Bildnis, Lieschen, zeigt: Wer viel von dieser Welt gesehn hat – der lächelt, legt die Hände auf den Bauch und schweigt.

Ideal und Wirklichkeit

In stiller Nacht und monogamen Betten denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt. Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten, was uns, weil es nicht da ist, leise quält. Du präparierst dir im Gedankengange das, was du willst – und nachher kriegst dus nie ... Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – C'est la vie – !

Sie muß sich wie in einem Kugellager in ihren Hüften biegen, groß und blond. Ein Pfund zu wenig – und sie wäre mager, wer je in diesen Haaren sich gesonnt ... Nachher erliegst du dem verfluchten Hange, der Eile und der Phantasie. Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – Ssälawih – !

Man möchte eine helle Pfeife kaufen Und kauft die dunkle – andere sind nicht da. Man möchte jeden Morgen dauerlaufen und tut es nicht. Beinah ... beinah ... Wir dachten unter kaiserlichem Zwange an eine Republik ... und nun ist's die! Man möchte immer eine große Lange, und dann bekommt man eine kleine Dicke – Ssälawih – !

Augen in der Großstadt

Wenn du zur Arbeit gehst am frühen Morgen, wenn du am Bahnhof stehst Mit deinen Sorgen: da zeigt die Stadt dir asphaltglatt im Menschentrichter Millionen Gesichter: Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider – Was war das? vielleicht dein Lebensglück … vorbei, verweht, nie wieder.

Du gehst dein Leben lang auf tausend Straßen; du siehst auf deinem Gang, die dich vergaßen. Ein Auge winkt, die Seele klingt; du hasts gefunden, nur für Sekunden … Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider; Was war das? kein Mensch dreht die Zeit zurück … vorbei, verweht, nie wieder.

Du mußt auf deinem Gang durch Städte wandern; siehst einen Pulsschlag lang den fremden Andern. Es kann ein Feind sein, es kann ein Freund sein, es kann im Kampfe dein Genosse sein. Es sieht hinüber Und zieht vorüber … Zwei fremde Augen, ein kurzer Blick, die Braue, Pupillen, die Lider. Was war das? Von der großen Menschheit ein Stück! Vorbei, verweht, nie wieder.

Der andere Mann

Du lernst ihn in einer Gesellschaft kennen. Er plaudert. Er ist zu dir nett. Er kann dir alle Tenniscracks nennen. Er sieht gut aus. Ohne Fett. Er tanzt ausgezeichnet. Du siehst ihn dir an ... Dann tritt zu euch beiden dein Mann.

Und du vergleichst sie in deinem Gemüte. Dein Mann kommt nicht gut dabei weg. Wie er schon dasteht -- du liebe Güte! Und hinten am Hals der Speck! Und du denkst bei dir so: "Eigentlich ... Der da wäre ein Mann für mich."

Ach, gnädige Frau! Hör auf einen wahren und guten alten Papa! Hättst du den Neuen: in ein, zwei Jahren ständest du ebenso da! Dann kennst du seine Nuancen beim Kosen; dann kennst du ihn in Unterhosen; dann wird er satt in deinem Besitze; dann kennst du alle seine Witze. Dann siehst du ihn in Freude und Zorn, von oben und unten, von hinten und vorn ... Glaub mir: wenn man uns näher kennt, gibt sich das mit dem happy end. Wir sind manchmal reizend, auf einer Feier ... und den Rest des Tages ganz wie Herr Meyer. Beurteil uns nie nach den besten Stunden.

Und hast du einen Kerl gefunden, mit dem man einigermaßen auskommen kann: dann bleib bei dem eigenen Mann!

An das Baby

Alle stehn um dich herum: Photograph und Mutti und ein Kasten, schwarz und stumm, Felix, Tante Putti … Sie wackeln mit dem Schlüsselbund, fröhlich quietscht ein Gummihund. „Baby, lach mal!“ ruft Mama. „Guck“, ruft Tante, „eiala!“ Aber du, mein kleiner Mann, siehst dir die Gesellschaft an … Na, und dann – was meinste? Weinste.

Später stehn um dich herum Vaterland und Fahnen; Kirche, Ministerium, Welsche und Germanen. Jeder stiert nur unverwandt auf das eigne kleine Land. Jeder kräht auf seinem Mist, weiß genau, was Wahrheit ist. Aber du, mein guter Mann, siehst dir die Gesellschaft an … Na, und dann – was machste? Lachste.

Tucholsky Kurt

  • Дата рождения: 9 янв 1890
  • Дата смерти: 21 дек 1935 (45 лет)
  • Произведений в базе: 6

Kurt Tucholsky war ein deutscher Journalist, Satiriker und Schriftsteller, der für seine scharfe Kritik an der politischen und sozialen Situation der Weimarer Republik bekannt ist. Seine Texte, die er unter verschiedenen Pseudonymen wie Peter Panter, Theobald Tiger und Ignaz Wrobel veröffentlichte, decken ein breites Spektrum an Genres ab, darunter Satiren, Gedichte, Essays und Lieder. Tucholsky war ein Meister der satirischen Kurzform, der mit Witz, Ironie und sprachlicher Präzision Missstände in Gesellschaft, Politik und Kultur aufdeckte. Seine Werke, darunter "Schloss Gripsholm" und "Deutschland, Deutschland über alles", zeugen von seinem Engagement für Demokratie, Pazifismus und soziale Gerechtigkeit. Trotz seines humorvollen Stils sind Tucholskys Texte von einer tiefen Melancholie und der Ahnung kommender politischer Katastrophen geprägt. Sein kritisches Engagement und sein literarisches Erbe machen ihn zu einer der wichtigsten Stimmen der deutschen Literatur in der Zwischenkriegszeit.

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